„Jeden Tag Silvester“: Mitsingen, Tanzen – und ein Heiratsantrag

Am Vorabend der Bundestagswahl betreten die Musikschulband „Jagri“ und die Lübecker Band „Jeden Tag Silvester“ die Bühne der Alten Weberei in Nordhorn. Dabei liefern die im Vorprogramm agierenden, zwischen 12 und 15 Jahre alten Musiker der nach ihren Vornamen Jasper, Aron, Gera, Rafael und Ilja benannten „Jagri“-Band einen mit reichlich Applaus bedachten Auftritt ab. Die Band glänzt mit einem Kurzprogramm, das klug ausgewählte Songs aus dem Fundus des bundesdeutschen Indie-Rocks enthält. Da gibt es die „Bitch“ der Berliner Studentenband „Von wegen Lisbeth“ und ein paar feine Cover von „AnnenMayKantereit“. Und beim abschließenden „Angels“ von Robbie Williams singen der versammelte Jagri-Fanclub und die Jagri-Eltern begeistert mit.

Das anschließende, gut zweistündige Konzert von „Jeden Tag Silvester“ beschert all jenen, die nach den politischen Debatten der vergangenen Wochen nichts mehr hören wollen vom Krieg in der Ukraine, von Rezession, Migration und Schuldenbremse, von Wohnungsnot und Pflegenotstand, von kaputten Brücken und verspäteten Zügen, von Klimawandel und gefährdeter Demokratie, eine willkommene Auszeit. Denn die vier überaus sympathisch und zugewandt daherkommenden jungen Väter der Silvester-Band singen nicht von den Problemen der Welt, sondern von Alltagsfreuden und Alltagsnöten, von den kleinen Fluchten ins Glück und den aus ihrer Sicht wirklich wichtigen Dingen des Lebens: Von Liebesglück im Sommerwind, von Freundschaft, vom Unterwegs-Sein und vom Meer, von Erinnerungen an unbeschwertes Partyglück. Sie nehmen uns mit in eine Sommernacht am Schuppen im Hafen. Der Mond scheint „wie verrückt“, jemand entzündet ein Lagerfeuer, jemand fidelt auf einer Geige, jemand tanzt mit seiner Freundin, alle sind sie „trunken vor Glück“. Für ihre Kinder stellen sie das Handy aus, klappen den Laptop zu, geben ihnen alles, angefangen mit ihrer Zeit bis hin zu Ferienfahrten entlang holländischer Kanäle.

Die Musik von „Jeden Tag Silvester“ entspricht dem typisch deutschsprachigen Pop und Rock der 2000er-Jahre, als dessen populärste Vertreter die Herren Forster, Bosse, Giesinger, Bendzko und Oerding gelten. In ihren Songs gibt sich die auffallend spielfreudige Band mal melancholisch-balladesk, mal aufreizend-ekstatisch, immer aber mit freundlicher Ansprache an Publikum, das zunehmende Bereitschaft zum Mitmachen zeigt. Alsbald gehen die Hände hoch, Handylichter leuchten auf, eingängige Refrains werden mitgesungen, vor der Bühne wird getanzt. In Songs wie „In Bewegung“, „Am Wasser“ und „Bei Dir“ feiern „Jeden Tag Silvester“ und ihr Publikum das einzigartige Leben. Am Schlagzeug gibt der Seebär Tom Rieken mit kräftigen Rockbeats den Takt vor. Gitarrist Niclas Jawinsky glänzt mit scharfkantig akzentuierten Riffs und aufreizenden Soli. Bassist Till Krohn hält selbstversunken die Stellung, während Sänger und Pianist Bertram Ulrich zwischen seinem Klavierhocker und dem Gesangsmikro am Bühnenrand hin und her saust und mit nie nachlassender Energie sein Publikum wie seine Bandkollegen in Partylaune versetzt.

Zu Höhepunkten des Abends werden der mitreißende „Geisterjäger“-Song und der mit Konfettikanone, einem Ausflug von Sänger Ulrich ins Publikum und „ganz viel Liebe“ garnierte Hit „Giganten“: „Wir thronen auf den Dächern dieser Stadt / wir können Giganten sein für eine Nacht“. Das lässt sich ein schwer verliebter Herr im Publikum nicht zweimal sagen, bittet seine Partnerin auf die Bühne und macht ihr inmitten des Konzertgeschehens einen Heiratsantrag – den sie unter Beifall von Band und Publikum auch annimmt. Und so erscheinen die viel beschworenen „guten Tage“ und die Aussicht auf ein „Paradies voller Liebe“ an diesem Abend auf der Bühne der Alten Weberei zu Hause zu sein. „Jeden Tag Silvester“ sei’s gedankt.